Für das Internet gibt es keine völkerrechtlichen Verträge, es funktioniere vielmehr in einem totalen rechtlichen Vakuum -- das beklagten bei der zweiten Vorbereitungskonferenz für den Weltgipfel der Informationsgesellschaft ( WSIS ) in Genf Vertreter mehrerer internationaler Regierungen. Brasilien, das sich zum Dauerkritiker der USA und der vertraglich an die USA gebundenen ICANN entwickelt, erklärte, man sei bereit, beim kommenden Gipfel in Tunis Verhandlungen über einen völkerrechtlichen Vertrag zur Frage der Verwaltung des Internet zu starten.
"Wir sollten das bestehende System nun nicht radikal und über Nacht umbauen," sagte der UN-Vertreter der indischen Regierung, Debabrata Saha. Aber nur weil die Verwaltung in der jetzigen historisch bedingten Variante in der Vergangenheit funktioniert habe, könne man notwendige Reformen nicht aufhalten. Zumal es kritische Fragen an die ICANN gebe: "Warum gibt es zum Beispiel nicht mehr neue Top Level Domains ? Warum ist die Zahl der Rootserver auf 13 beschränkt und warum müssen sie alle in Industrieländern stehen?"
Auf diese Fragen hat auch der erste Zwischenbericht der UN-Arbeitsgruppe Internet Governance ( WGIG ) erst einmal keinerlei Antworten gegeben. Der stellvertretende US-Delegationsleiter Richard Beaird sagte, seine Delegation betrachte eine private Netzverwaltung als die beste Lösung und unterstütze ICANN und dessen Regierungsbeirat. Man wolle allerdings nun abwarten, welche verschiedenen Optionen die WGIG dazu präsentiere, welche Fragen von öffentlichem Belang zu klären seien.
Tatsächlich nehmen die verschiedenen Vorschläge, wie das künftige Regime der Netzverwaltung aussehen könnte, langsam Gestalt an. Sie reichen von einer Unterzeichnung eines neuen Memorandum of Understanding durch internationale Regierungen -- "das wäre leichter als ein internationaler Vertrag", sagt Bakom-Vertreter Riehl -- bis zu Brasiliens ausgewachsenem Völkerrechtsvertrag, über dessen Verhandlungen das Internet allerdings graue Haare bekommen könnte. Algerien schlägt einen etwas offeneren Council of Internet Governance vor, dem Regierungen nach Belieben beitreten könnten. Im Stil der Treffen des ITU World Council würde nur alle paar Jahre das gesamte Gremium, dazwischen ein Exekutivkomitee über die Netzverwaltung wachen. Die USA andererseits lobten in einem ihrer Statements ICANNs Regierungsbeirat besonders; diesem die ICANN-Aufsicht zu übertragen würde das System am stärksten auf dem Status Quo halten.
Als Exekutivorgan könnte die ICANN und sicherlich auch die durch die Rufe nach nationaler Verwaltung aufgescheuchten IP-Adressverwalter in vielen Varianten weiter arbeiten. Auch ein Vorschlag von WGIG-Mitglied und Telepolis -Autor Wolfgang Kleinwächter steht zur Debatte: eine UNIG.cog, eine United Nations Internet Governance Communication Group sollte einmal jährlich einen Lagebericht vorlegen, der an alle UN-Mitgliedsstaaten verteilt wird. Probleme oder notwendige Grundsatzänderungen sollten dann bei den UN-Versammlungen auf die Tagesordnung kommen. Vorteil des Konstrukts wäre, dass die UNIG.cog nach dem Modell der WGIG mit Regierungsvertretern und Vertretern aus Unternehmen und Zivilgesellschaft besetzt werden könnte. Denn auf das Zugeständnis der Regierungen, dass Entscheidungen für die Informationsgesellschaft im Konzert mit Unternehmen und NGOs getroffen werden sollen, möchten Letztere auf keinen Fall mehr verzichten.